Gemeinsam
Wenn dein warmer Atem
meine Wange streift,
dann weiß ich:
Da lebt etwas in der Nacht.
Wenn ich neben dir aufwache,
dann weiß ich:
Den Tag zu beginnen ist es wert.
Wenn sich des Abends
die Müdigkeit in deinen Augen sammelt,
dann weiß ich:
Es ist Zeit einander zu halten,
bis der Schlaf uns fortnimmt.
Stadt
In den entrückten Gesichtern
spiegelt sich die graue Vorstadt.
Wie kleine Fabrikschlote
paffen die Zigarren
zwischen bleichen Lippen;
die Augen sind leer
wie zerbrochene Fenster;
von der Mimik bröckelt der Putz
kalkweißen Mienenspiels.
In den Häuserschluchten
schlägt das Echo der Eintönigkeit
von Wand zu Wand.
Die Wolkenkratzer schwanken
in ihrer Hybris.
Der zähe Strom von Menschen
kriecht träge das Pflaster entlang.
Sie rasseln durch die Kaufhallen
wie Münzen durch ein Geldzählgerät.
Der grelle Mond der Leuchtreklame
scheucht Lichtspreu über
den regennassen Asphalt.
Scheu huschen schattenhaft
die Amokzecher von Sünde zu Sünde.
Wenn sich eine Tür öffnet
erbricht sich Helligkeit auf die Straße.
Tonfetzen zerreißen die nächtliche Stille
und schrecken das Ungeziefer
im Gedärm der Stadt auf.
Nachtschwimmen
Die Mondoberfläche des Teiches
glänzt bleich wie ein Knochen in der Nacht.
Der Rudertakt meiner Arme
schlägt Krater ins stille Wasser.
Vor mit leuchtet
wie ein weißglühender Schwan
dein nackter Leib.
Im Fahrwasser deiner Anmut
wirbeln die Sterne
wie ein funkelndes Lächeln.
In der Mitte des Sees
treffen sich unsere Lippen.
Dein feuchtes Haar umschlingt meine Schultern.
Der nasse Sand saugt an unseren Zehen.
Wir stehlen uns vom seichten Ufer
durch die Dunkelheit
in die Umarmung eines heißen Tees.
Passione per l'arte
Skulputur von Sandro Chia, 1985
Die gen Himmel verdrehten Augen
entrückt, als stiegen
auf einem Lichtstrahl die Musen
von den Wolken in
den graunieselnden Alltag.
Das Haar auf der Brust knospet
in der Form einer Palme
in einer Wüste aus Bronze.
Der Kopf von einer Hand
gestützt – die bleischweren Gedanken –
von einer anderen empor-
gezogen in ideenblühende Landschaften.
Das Haar treibt lockende Blüten.
Auf dem felsigen Brot der Kunst
hockt der in Verzücken
gehüllte Wahnsinn
und säuselt kirschtolle Worte.
Ob in Schmerz,
ob in Lust gewundener Leib:
Ein in Leidenschaft
gegossener Koloss.
Morgenstimmung
Sonnensaat, Sternenacker.
Morgenschauer tautröpfelt
schöpfungslichttrunken.
Im Gebirke zwitschert
wehmütig die Blaumaise.
Es spechtet fern im Gehölz.
Wolkenrieseln reimt
Dunsttupfer in den Himmel.
Tagläuten entschlüsselt
den rotgärenden Horizont.
Die frühe Stunde schlägt
hell auf der Landschaft auf.
Stadt
In der nachthellen Stadt
verschmelztiegeln Menschenmasken.
Wetterleuchtröhren zerplatzregenen
auf ahnungsschmatzende Gesichter.
Die Menschenmenge gärt und zischt.
Die Mitternachtlokale spucken
Lustnomaden ins Gedränge.
Vor den Schlachthäusern
der käuflichen Liebe gerinnen
die Körpersäfte in der Gosse.
Der Ruf des Gürtelrosenverkäufers
schlängelt sich durch die Massen.
Der giftige Atem von Abgasgedanken
schwelt in einer Wolke
egoistischer Ideen.
Über den Häusern,
die Fenster verdunkelt,
hängt eine bleierne Schwermut.
Vereinzelt blinzelt
ein Licht der Einsamkeit
in den schwarzverhangenen Himmel.
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